KRANK UND BEHINDERT NACHFRAGE

NACHFRAGE: Caritas Expertise zu Sehhilfen im Gesundheitsausschuss/Bundestag

Falsche @Caritas_web Expertise @Bundestag: KK soll Brillengestell nicht übernehmen, weil günstig! 1. bei div.Fehlsichtigkeiten gibts kein günstiges Brillengestell! 2. Systemisch Erkrankte sind schon finanziell stark belastet! Wird „Expertise“ korrigiert? https://bit.ly/3dDNvG8

Die Caritas Expertise behauptete, dass Brillengestelle nicht zu übernehmen seien, weil diese günstig sind. 1. Wie kommt die Caritas dazu zu behaupten, dass bei allen Fehlsichtigkeiten, allen Grunderkrankungen mit Fehlsichtigkeit, auf günstige Brillengestelle zurückgegriffen werden kann und Kriterien wie Stabilität, Gewichtsverteilung, Gewichtsreduktion nicht relevant sind? 2. Sind Personen systemisch, multisystemisch mehrfach erkrankt, ist das Geld, wegen hoher Ausgaben wegen Krankheit ohnehin knapp, selbst geringe Beträge sind dann nicht mehr zu stemmen. 3. Grundsätzlich ist der Alg 2 Regelsatz unzureichend, wie da selbst noch „kleine“ Summen finanziert werden sollen, erschliesst sich nicht. 4. Sehhilfen sind Gesundheitsleistungen und sollten von der Krankenkasse übernommen werden.

Hintergrund
Mit der „Gesundheitsreform“ von 2004 wurden Sehhilfen ausgegliedert. 2014 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Sehhilfen zum Existenzminimum gehören, aber im Alg II Regelsatz unterdeckt sind. In der Regierung wird seitdem beraten, wie mit der Problematik zu verfahren sei. 2018 gab es noch ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages mit keinem anderen Ergebnis, als dass Sehhilfen für Arme nicht zu finanzieren sind. In einer Expertise 2020 stellte die Caritas fest, dass Brillengestelle und günstig und daher selbst zu bezahlen sind.


Problematik
Leider stellen die „Expert:innen“ der Caritas nicht die denknotwendig zweite Frage: kann denn für alle Seherkrankungen bzw. Grunderkrankungen mit Fehlsichtigkeiten auf günstige Gestelle zurückgegriffen werden?

Als von einer seltenen systemischen Erkrankung Betroffene, hat die Unterzeichnerin eine sehr hohe Kurzsichtigkeit zwischen 9 und 12 Dioptrien. Brille (Vorteile: Nahsicht) und Kontaktlinsen  (Vorteile: die Bildabbildung wird nicht verkleinert, Bewegungsfreiheit) sind zusammen verordnungsfähig. Die Krankenkassen übernehmen seit 2019 einen Festbetrag in Höhe von ca. 1/3 der Kosten, da wegen der hohen Werte die Fertigung teuer ist, verbleiben ca. 300 € für die Brille und 400 € für die Kontaktlinsen (letztere müssen alle 11/2 Jahre erneuert werden).

Die Brillengestelle sind mit 150-200 €  zu veranschlagen, weil die Gläser selbst mit dem von den Kassen übernommenen Brechungsfaktor von 1,8 dicker sind und bei den vorgenannten Werten immer noch ca. 4,5 mm betragen (bei Kunststoff mehr) und daher nur stabile Gestelle in Frage kommen.  Da aufgrund der systemischen Grunderkrankung (die im übrigen oft mit Myopia Magna vergesellschaftet ist) auch das Gewicht zu bedenken ist, kommen nur leichte Gestelle in Frage, kleine Brillengestelle tragen zur Gewichtsreduktion bei, um eine bessere Gewichtsverteilung zu ermöglichen, sollte kein Nasenzwicker gewählt werden (dies ist auch bei der Grunderkrankung wichtig, damit die Nase aufgrund der unvorteilhaften Gewichtsbelastung nicht schmerzt). Gewölbte Formen sorgen für optimale Rundsicht. Die Unterzeichnerin hat große Probleme überhaupt ein Brillengestell zu finden, bis das passende gefunden worden war, wurden 4 Optiker aufgesucht.

Eine von einer anderen Erkrankung Betroffene beziffert ihr Brillengestell auf 500 €. Eine weitere erklärte, mehrere Gestelle zu benötigen.

Hohe Dioptrienzahlen sind durchaus bei systemischen Erkrankungen anzutreffen, die Personen, die also ohnehin schon von ausgegliederten Kassenleistungen und den hierfür deutlich zu niedrig angesetzten Alg II Regelsatz (also Bezieher:innen von Alg II, Sozialhilfe, Grundsicherung) betroffen sind, werden hier erneut mehr belastet, da sie auf günstige Brillengestelle gar nicht zurück greifen können. Grundsätzlich haben systemisch, multisystemisch, mehrfach erkrankte und behinderte Menschen hohe finanzielle Ausgaben in den Bereichen Gesundheit und Lebenshaltung. Auch „kleine“ Beträge können dann nicht mehr geleistet werden.

Dass der Alg II Regelsatz für Sehhilfen, neben Haushaltswaren, grenzwertig, Strom, Mobilität, unterdeckt ist, stellte das Bundesverfassungsgericht bereits in 2014 fest (aufgrund der stetig hinter den eigentlichen Kosten zurückbleibenden Fortschreibung verschlechtert sich die Deckung von Jahr zu Jahr). Wie die Betroffenen hier noch „geringe“ Kosten für Brillengestelle finanzieren sollen, erschliesst sich nicht.

Grundsätzlich sollten die Krankenkassen Sehhilfen und auch die Brillengestelle finanzieren, es kann ja nötigenfalls begründet werden, warum welche Sehhilfen und Gestelle benötigt werden. Seherkrankungen sind Erkrankungen und sollten daher Kassenleistungen sein, ohne dass hierfür extra Tarife anfallen.

Korrigiert die Caritas diese Aussage der Expertise?

Es ist grundsätzlich problematisch, wenn Betroffene nicht gehört werden. Augenscheinlich war lediglich die Kassenärztliche Vereinigung in der Lage zu erkennen, dass Satzungsleistungen problematisch sind, weil sie zu Ausschlüssen führen. Und auch gerade bei dem ohnehin vulnerablen Teil der systemisch, multisystemisch, mehrfach und/oder ein einer seltenen Krankheit Erkrankten. Der Ausschluss dieser Gruppen dürfte mit dem christlichen Selbstverständnis auch nicht vereinbar sein.

Betroffene und Unbetroffene Sympathisant:innen
Bitte kommentiert eigene Sichtweisen, Probleme, Änderungswünsche, Vorschläge!

Links

Stellungnahmen Kostenübernahme Sehhilfen, auch Caritas
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw45-pa-gesundheit-sehhilfen-799250

Kostenübernahme für Sehhilfen im Rahmen des SGB II/SGB XII
Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, 2018 /WD 6 – 3000 – 023/18
https://www.bundestag.de/resource/blob/559788/5c2259d18af3b5b9ddaa125b180dcdd9/wd-6-023-18-pdf-data.pdf

GKV Modernisierungsgesetz von 2004
https://www.aok-bv.de/hintergrund/gesetze/index_15072.html

Weisse Ware, Haushaltsgeräte (dazu gehören Waschmaschinen) und Sehhilfen sind im Regelsatz des Alg II unterdeckt. „Nach der vorliegenden Berechnungsweise des Regelbedarfs ergibt sich beispielsweise die Gefahr einer Unterdeckung hinsichtlich der akut existenznotwendigen, aber langlebigen Konsumgüter, die in zeitlichen Abständen von mehreren Jahren angeschafft werden, eine sehr hohe Differenz zwischen statistischem Durchschnittswert und Anschaffungspreis. So wurde für die Anschaffung von Kühlschrank, Gefrierschrank und -truhe, Waschmaschine, Wäschetrockner, Geschirrspül- und Bügelmaschine (Abteilung 05; BTDrucks 17/3404, S. 56, 140) lediglich ein Wert von unter 3 € berücksichtigt. Desgleichen kann eine Unterdeckung entstehen, wenn Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen weder im Rahmen des Regelbedarfs gedeckt werden können noch anderweitig gesichert sind (vgl. BVerfGE 125, 175 <252 ff.>).“ (BVerfG, 23.7.2014, 1 BvL 10/10, 1 BvL 12/12, l BvR 1691/13, Rn. 120)

„Fehlt die Möglichkeit entsprechender Auslegung geltenden Rechts, muss der Gesetzgeber einen Anspruch auf einen Zuschuss neben dem Regelbedarf schaffen. Auf ein nach § 24 Abs. 1 SGB II mögliches Anschaffungsdarlehen, mit dem zwingend eine Reduzierung der Fürsorgeleistung um 10 % durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 SGB II ab dem Folgemonat der Auszahlung verbunden ist, kann nur verwiesen werden, wenn die Regelbedarfsleistung so hoch bemessen ist, dass entsprechende Spielräume für Rückzahlungen bestehen“ (BVerfG, 23.7.2014, l BvL 10, 12/12, l BvR 1691/13, Rn. 116).

Zum Verhältnis von Regelsatzermittlung und Preissteigerung zur schnellen Erfassung der Problematik
https://www.welt.de/wirtschaft/article157908900/Das-Lebensmittel-Dilemma-der-Hartz-IV-Empfaenger.html

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