Bundesgesundheitsministerium nimmt nicht an Sitzungen des Gesundheitsausschuss teil, noch kennt es die für es massgeblichen Dokumente des Bundesverfassungsgerichts. Bei der Problematik um Sehhilfen hat man den Kenntnisstand von 2003.
Zum aktuellen Hinweis, dass die Untätigkeit des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) gegen die Massgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und das grundgesetzliche Diskriminierungsverbot verstösst, weil ersteres 2014 festgestellt hat, dass Sehhilfen nicht hinreichend in den Existenzsicherungsleistungen eingestellt sind und der Gesetzgeber gefordert ist, einen Zuschuss einzurichten, verweist dass Ministerium auf Dokumente aus dem Jahre 2003!
Es wird auf die Gesundheitsreform im Jahr 2003, die allerdings von Ulla Schmidt, SPD verzapft wurde, abgestellt, wonach die Kassen eben sparen müssten und dass hier festgestellt worden sei, dass die Brillengestelle ohnehin schon selber zu bezahlen gewesen seien (stimmt nicht, bis 2003 wurden Brillengestelle bei hoher Fehlsichtigkeit bezahlt). Auch hätte der Durchschnitt der Versicherten ohnehin Geld für bessere Versorgung ausgegeben. Verständlich, geht es nach dem Villenbesitzer Spahn, dann haben arme Personen einfach keinen Anspruch.
Zudem hätten die Krankenkassen durchschnittlich nur 50 Euro pro Versichertem ausgegeben. Achja der durchschnittliche Versicherte hat natürlich keine hohe Fehlsichtigkeit, die ist eher Merkmal einer gravierenden Grunderkrankung (wo man also schon genügend andere gesundheitliche Probleme und Kosten hat). Im Hause Spahn kennt man nur den durchschnittlichen Versicherten, dass es Behinderungen, seltene Krankheiten, systemische Erkrankungen, Multimorbididtät geben kann, davon weiß man hier nichts. Man ist ja nicht umsonst gelernter Bankkaufmann.
Aus den genannten Gründen sei keine Überlastung der Versicherten festzustellen. Bisher sei das auch BMG nicht darüber informiert gewesen, dass eine Unterversorgung stattfände. („Tatsächlich wurden seither keine nachvollziehbaren Hinweise an das Bundesministerium für Gesundheit herangetragen, die auf eine verbreitete Unterversorgung mit Sehhilfen schließen lassen.“).
Schade, das Ministerium liest offenbar keine Dokumente, die den Bereich Gesundheit betreffen, es nimmt offenbar auch nicht an den Beratungen des Gesundheitsausschusses teil. Sonst wäre ihm folgendes bekannt geworden:
2014 erklärte das BVerfG, dass Sehhilfen nicht hinreichend im Existenzminimum eingestellt sind. Der Gesetzgeber wurde zur Schaffung eines Zuschusses aufgefordert.
2018 erstellten die wissenschaftlichen Dienste des Bundestags ein Gutachten, das zu dem Ergebnis kommt, dass arme Personen keine Sehhilfen finanzieren können.
2020 kamen in der Anhörung Sachverständige zu Wort. Der Tenor: arme Personen haben Probleme bei der Finanzierung von Sehhilfen, Die Festbeträge der Krankenkassen reichen nicht aus.
Von alldem weiß das BMG nichts. Und daher hat man auch nicht mitbekommen, dass das BMAS 2021 den vom BVerfG geforderten Zuschuss eingerichtet hat. Bezieher*innen von Sozialleistungen bekommen nun die Sehhilfen und auch die Brillengestelle vom Sozialleistungsträger bezahlt, wenn sie keine hohe Fehlsichtigkeit haben. Hoch Fehlsichtige bekommen seit 2017 einen Festbetrag von den Krankenkassen, der nicht das Brillengestell umfasst. Auch geht aus den Übernahmen der Hilfsmittel hervor, dass weiterhin auch für Gläser ein Eigenanteil zu leisten ist. Die Untergerichte erklären nun, dass hier im Existenzsicherungsbezug die Krankenkassen zuständig sind, die aber eine weitergehende Zahlung verweigern. D.H. hoch Fehlsichtige werden von den Grundsätzen der Existenzsicherung ausgeschlossen und diskriminiert. Jens Spahn hat offensichtlich kein Problem gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz zu verstossen.
Dann wird auf den Wettbewerb verwiesen. Der Wettbewerb ist der große Lösungszauber der CDU. Was ein Spahn nicht löst, das löst der Wettbewerb und so wird erklärt, dass dieser erhebliche Preisreduzierungen sorgt. Jedoch nur für den durchschnittlichen Versicherten, denn Personen mit hoher Fehlsichtigkeit können ihre Sehhilfen nicht im Internet bestellen (in den Sozialleistungen ist auch kein PC o. Ä. eingestellt), diese müssen angepasst werden. Bestimmte Erkrankungen erfordern bestimmte Brillengestelle und diese sind leider nicht kostengünstig zu haben. Achso, das BMG kennt sich ja mit Krankheiten überhaupt nicht aus. dass ist dort einfach nicht Thema. Man befasst sich dort mit Lobbyismus und Maskendeals.
Für die Heilung seines Verfassungsbruchs gegenüber hoch Fehlsichtigen hat er daher keine Zeit.
Fazit
Das BMG von Bankkaufmännern geleitet, bekommt weder die Dokumente des Bundestag zur Problemen bei Finanzierung von Sehhilfen mit noch ist es in der Lage grundsätzliche juristische Zusammenhänge, die jede Laiin versteht, nachzuvollziehen. Tenor: es ist alles in Ordnung, wenn, trotz Mahnung des BVerfG in der Existenzsicherung nur gering Fehlsichtige Sehhilfen finanziert bekommen, stark Fehlsichtige aber nicht. Das grundgesetzliche Diskriminierungsverbot ist hier gänzlich wurscht. Interessant für das BMG ist lediglich der durchschnittliche Versicherte, also Personen ohne gravierende Krankheiten. Von großer Bedeutung ist allerdings der Wettbewerb. Aber: wer an ihm nicht teilnehmen kann, ist eben selbst Schuld.
Nachwort
Klar ist natürlich, im BMG weiß man all das. Nur denkt man anscheinend, die Bürgerin ist so saudoof, sie kann verarscht werden. Zu der Verfassungswidrigkeit gesellt sich ein herabwürdigender Umgang mit dem Souverän. Jens Spahn ist einer der nicht wenigen PolitikerInnen, die Rechtsstaat und Demokratie nicht brauchen. Und passt zu der eiskalten Partei mit der Bezeichnung „christlich“ im Namen, deren Mitglied von der Leyen als Familienministerin Niedersachsen das Blindengeld strich.
Wirklich schade, dass die Leitmedien dieses Landes nicht in der Lage sind, die Probleme der Gesundheitspolitik umfassend zu recherchieren. Behandelt wird lediglich Corona, die Frage zur Pflege war dann schon aus dem Publikum. Ein Beispiel dafür ist Zeit online „Eine Stunde mit … Jens Spahn“.
Neben dem Genannten wird noch die Wahl und belanglos Biographisches abgehandelt, als ob sich so psychologisch Spahns Eignung ergründen liesse. Die Journalist*innen Tina Hildebrand und Roman Pletter hätten ja einfach mal die Dokumente des Gesundheitsausschusses für einige Fragen studieren können oder bei Betroffenen.Verbänden nachhören können. Vielleicht sind sie auch der Meinung, Randgruppenthemen wie hohe Fehlsichtigkeit sind einfach nicht interessant genug, 1,4 Mio Betroffene zählt der Vdk (https://www.vdk.de/hamburg/pages/73455/anspruch_auf_sehhilfen?dscc=ok).
Davon dürfte zwar nur ein Teil in der Existenzsicherung oder Armut leben. Jedoch gilt das Diskriminierungsverbot für das Individuum