Der Zuschuss für Sehhilfen und Weisse Ware wird diesen vorenthalten. In den Zeiten radikaler Preissteigerungen wird Betroffenen nicht einmal die bereits vorhandene Regelleistung gewährt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits am 23.07.2014 (Az. 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13) entschieden, dass Sehhilfen, weisse Ware nicht hinreichend im Existenzminimum eingestellt sind und der Politik aufgegeben, dass ein Zuschuss einzustellen ist. An die Untergerichte erging die Massgabe in diesen Dingen Grundrechtekonform auszulegen, also diese Dinge mit einem Zuschuss, also keinem Darlehen, auszuurteilen sind.
Jobcenter, Sozialämter und auch einige Untergerichte ignorierten das Urteil des BVerfG. Auch kam die Politik der Massgabe, die bedauerlicherweise ohne Frist gesetzt worden, erst nach 7 Jahren Herauszögerns ab 2021 mit der geänderten Fassung des § 21 VI SGB II nach.
Nun wurde bei der Bundesagentur für Arbeit und der Senat für Soziales in Berlin nachgefragt, ob die geänderte Rechtslage bekannt sei und warum die Behörden nicht nach dieser Rechtslage entscheiden würden.
Nur die BA gab zu, dass seit Januar 2021 der § 21 VI SGB II insoweit geändert worden war und nun galt, dass die Behörde bei Sehhilfen, weisse Ware zu prüfen hatte, inwieweit ein Zuschuss (also eben kein Darlehen) zu zahlen ist.
Gar nicht Bescheid wusste der Senias. So wurde behauptet, hier würde es sich um Wunschvorstellungen der Nachfragenden handeln. Es war nicht bekannt, dass das BVerfG am 23.07.2014 (Az. 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13) schon entschieden hatte, dass Sehhilfen, weisse Ware nicht hinreichend im Existenzminimum eingestellt sind und ein Zuschuss einzustellen ist und dass dieser Zuschuss 7 Jahre später mit der geänderten Fassung des § 21 VI SGB II eingeführt worden war.
Seit dem 1.1.2011 wird in § 21 Abs. 2,3,5 und 6 SGB II nicht mehr auf die Voraussetzungen der Erwerbsfähigkeit abgestellt, demnach gelten die in diesen Vorschriften vorgesehenen Mehrbedarfe sowohl für Bezieher von Arbeitslosengeld als auch für Sozialgeldbezieher (Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl., 2019, S. 581). Zumal das Existenzminimum ja auch für Bezieher*innen von Sozialhilfe und Grundsicherung gelten muss.
Der Senias behauptet hingegen: „ Soweit die Krankenkassen Kosten für Sehhilfen nicht übernehmen, ist ein entsprechender Bedarf aus den pauschalierten Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs zu bestreiten. Sollten diese nicht aus den Regelleistungen finanziert werden können, besteht die Möglichkeit, diese Leistungen als Darlehen zu erhalten. Voraussetzung hierfür ist, dass der Bedarf unabweisbar besteht und nicht auf andere Weise gedeckt werden kann. Anders stellt es sich dar, wenn die Sehhilfe im Rahmen der beruflichen Tätigkeit zwingend erforderlich ist. Dann käme eine Kostenübernahme durch die Jobcenter als Mehrbedarf in Betracht….. Gleiches gilt für die (Neu-)Anschaffung weißer Ware. Hier besteht auch die Möglichkeit, diese Leistungen als Darlehen zu erhalten, sollte diese nicht aus dem Regelsatz finanziert werden können.“
Das vorgenannte Urteil des BVerfG unterscheidet aber nicht zwischen Sehhilfen für geringgradig Fehlsichtige und Hochfehlsichtige. Auch wenn letztere einen Zuschuss der Krankenkassen erhalten, der aber nur einen kleinen Teil abdeckt und explizit ein Brillengestell ausschliesst, so werden diese deutlich höheren Kosten als bei geringradiger Fehlsichtigkeit eben nicht durch den Regelsatz gedeckt.
Anscheinend wird gemeint, Sehhilfen bräuchten nur Personen, die eine Tätigkeit ausüben. Es ist nicht bekannt, dass hohe Fehlsichtigkeit den Alltag erheblich einschränkt und man sich und andere im Strassenverkehr gefährdet- es handelt sich hier um eine behinderten- und menschenrechtsfeindliche Ansicht!
Anzumerken ist, dass hohe Fehlsichtigkeit oft bei seltenen, systemischen, multisystemischen Erkrankungen vorkommt. Diese Personen haben bereits hohe Mehrkosten, die von dem sich auf die Norm beziehenden Regelsatz überhaupt nicht gedeckt sind und die, wiewohl sie sofort anfallen, jahrzehntelang vor den Gerichten zu erstreiten sind. Je behinderter man ist, desto größer die Diskriminierung hier.
Mit den aktuellen fulminanten vom unzureichenden Regelsatz nicht gedeckten Kosten wird diesen Personen als erstes die Luft abgedreht. Jedoch hat man seitens der Politik außer Tipps zum Waschen mit Waschlappen auch für Inkontinente und und zur Deckung des Eiweissbedarfs mit schwer verdaulichen Hülsenfrüchten noch nichts zu Wärmebedarfen und hochpreisigen krankheitsbedingten Diäten schwer kranker Personen gehört. Auf Sprüche wie „früher und in Afrika gabs/gibts dies auch nicht„, möchte die Verfasserin gar nicht erst eingehen, da es keine angemessene Grundlage für eine Diskussion gesellschaftlicher Entwicklung ist.
Daneben sind behinderten Menschen auch auf weisse Ware besonders angewiesen. Etwa Lebensmittel kühlen, einfrieren, weil weder selbst noch die pflegenden Personen täglich Einkaufen können. Oder auf Haushaltsgeräte, weil die manuelle Kraft noch die Zeit der Pflegenden dafür ausreicht, komplexe Diäten in Handarbeit zu fertigen. Weil wegen Leichtverdaulichkeit diese schonend gegart werden müssen (es ist also nichts mit dem Hinweis auf kalte Küche). Weil bei Inkontinenz, Bedarfen an Bandagen, spezieller Kleidung regelmässig gewaschen werden muss, ist auch eine Waschmaschine von Nöten.
Man mag sich in Berlin unter Rot-Grün redlich Mühe geben Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger*innen bei Haushaltsgeräten auf Null zu setzen, wegen Kostenersparnis und Umweltfreundlichkeit.
Aber warum praktizieren Abgeordnete nicht selber, was sie anderen zumuten wollen- nur mit gutem Beispiel voran: schwerbehindert und Verzicht auf alle Hilfsmittel im Haushalt, Sehhilfen, Waschen, krankheitsbedingte Diäten etc..
Es wurden nun die Fraktionen des Abgeordnetenhauses angeschrieben und nachgefragt, ob Berlin so arm ist, dass die Rechtsstaatlichkeit im Sozialrecht eingespart werden muss und Betroffene auf ihre Grundrechte eben mal verzichten müssten.